Montag, 27. Oktober 2014

Die Lütticher Straße | 5. Teil | Bei Mimi

Es war einmal ...
 

In der Lütticher Straße 33a gab es mal eine Gaststätte mit dem Namen ´Restaurant Jakobshöhe´, welches von einer Maria Hissel eröffnet und geführt worden war.

Von den Anwohnerinnen und Anwohner und den damaligen Geschäftsleuten aus dem örtlichen Umfeld wurde Maria Hissel ausnahmslos ´Mimi´ genannt und so hieß es auch nicht, „wir gehen zur ´Jakobshöhe´“, sondern man ging ´Bei Mimi´.

Maria ´Mimi´ Hissel wurde am 18. Mai 1896 geboren und war die Schwester des Vaters jener Dame, mit der ich dieser Tage die Ehre hatte, die Interviews zu führen, bei denen ich an fast alle folgenden Informationen und die Bilder gelangt bin.

Dafür bedanke ich mich ganz herzlich bei Frau Tina Lüth geb. Hissel (*1927).

Den Kontakt zu Frau Lüth hat der Herr Peter Hissel Sanitär - und Heizungsbau GmbH hergestellt, bei dem ich mich an dieser Stelle ebenfalls dafür bedanken möchte.

Der Name Hissel wird u.a. im Aachener Adressbuch von 1936 genannt und dort werden die Geschwister Hissel in der Emmichstraße 33 A geführt.





Emmichstraße hieß die Lütticher Straße während der Zeit des Nationalsozialismus von etwa 1933 bis kurz nach Kriegsende und zu diesem Thema wird es demnächst einen separaten Beitrag geben.

Wann diese Gaststätte mit Außengastronomie auf der Lütticher Straße 33a genau eröffnet worden ist, konnte nicht mit Sicherheit bestimmt werden.

Das erste Photo vom ´Restaurant Jakobshöhe´, welches ich hier mit Erlaubnis von Frau Lüth einstelle, stammt vom 9. August 1932 und zeigt eine Seitenansicht des Lokals.



Ganz links am Tisch sitzt Maria ´Mimi´ Hissel, die Wirtin und Betreiberin der Gaststätte ´Bei Mimi´. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war sie 36 Jahre alt.

Die kräftige und dunkel gekleidete Frau in der Mitte ist Frau Anna Hissel geb. Hammers (* Juli 1871). Sie war die Mutter der Wirtsfrau Maria (Mimi) und schenkte noch weiteren 15 Kindern das Leben, von denen leider „sieben der Mutter im zarten Kindesalter in die Ewigkeit voran gingen“.

 

Außerdem ist sie die Oma von Frau Tina Lüth geb. Hissel gewesen, der ich all diese Informationen verdanke.

Anna Hissel (geb. Hammers) war auch die Eigentümerin des Hauses Lütticher Straße 33a in dem sich das ´Restaurant Jakobshöhe´ befand.

Trotz ihres arbeitsreichen und erfüllten Lebens führte auch sie zeitweilig eine Gaststätte in Aachen und war eine sehr belesene Frau gewesen.

Die Anna Hissel geb. Hammers verstarb anderthalb Jahre nach obiger Aufnahme im Februar 1934 im Alter von 62 Jahren.



Nach ihrem Tod übernahm Mimi die Rolle einer Ersatzmutter für ihre Geschwister und versorgte sie mit allem, was zu dieser Zeit nötig und erhältlich gewesen war.

Der Mann oben rechts mit der Kappe war Mimis Bruder Wilhelm Hissel. Er war mit der Tochter des Bäckerfamilie Mayer liiert, die zu jener Zeit am Anfang der Lütticher Straße in dem Haus mit der Nummer 1 eine Bäckerei mit Café-Betrieb hatten. 
Kurz vor Ende des II. Weltkriegs fiel Wilhelm an der Ostfront bei einem Bombenangriff der Sowjet-Armee.


Der Hund auf dem Bild hieß ´Wolf´. Frau Tina Lüth führte ihn als junges Mädel zum Gassi gehen immer in den Kaiser-Friedrich-Park am Hangeweiher aus.

Wann die folgende Aufnahme gemacht worden ist, lässt sich nicht genau bestimmen.



Es könnten die späten 1940iger sein aber auch die frühen 1950iger.

Im Adressbuch der Stadt Aachen von 1949 befindet sich der Eintrag Maria Hissel und unter der Anschrift Lütticher Straße 33a wird ein Café aufgeführt.



Der Sonnenschirm erinnert mich an einen petticoat-ähnlichen roten Rock mit weißen Punkten, wie ihn meine Mutter in den Fünfzigern getragen hatte.

An dem Balkon über dem Erker ist ein Schild angebracht mit der Aufschrift ´Restaurant Jakobshöhe | Inh. M. Hissel´, wobei das Wort ´Jakobshöhe´ in geschwungenen Buchstaben gehalten ist.



Auf dem schwarzen Schild zwischen den Fenstern ist zu lesen `Brennerei SAUREN | Aachen 9 | Weingroßhandlung | Likörfabrik´

Ein Pärchen lächelt in die Kamera. Es scheint ein milder Tag zu sein. Die Fenster sind geöffnet, die Kleidung ist leicht. Es stehen keine Getränke auf den Tischen des Außenbereichs.

Es folgen einige Aufnahmen als Postkarten-Motive, die noch später gemacht worden sind (und sich sehr schlecht scannen ließen wegen der groben Oberflächenstruktur).

Zu jener Zeit beschäftigte die Mimi Personal für den Innen- und Gartenbereich. Die Anzahl der Tische war nicht gerade gering.



Der Bereich der Außengastronomie zog sich bis an die Grundstücksgrenze zum Bürgersteig hin. Die Bildqualität hab ich nicht besser hinbekommen.


Am rechten Bildrand hinter der Mauer befindet sich heute das Betriebsgelände der Firma Kutsch.

Der Schriftzug am Balkon ist inzwischen ein anderer wie auf dem Photo weiter oben und kann - bis auf das Wort ´Jakobshöhe´ - nur schwer entziffert werden.

Der Sonnenschirm ist wieder dabei und die Tische sind mit Tischdecken und Aschenbechern eingedeckt.

Selbstverständlich standen auch im großzügigen Innenbereich auf jedem Tisch Aschenbecher, wie es sich für eine gutbürgerliche Gaststätte gehört. Ebenso auf jedem Tisch ein kleiner Blumenstrauß...



… und ein ordentlicher Stapel Bierdeckel.

Man glaubt fast, das knallen der Würfelbecher beim Meiern zu hören oder das rascheln der Karten beim Karten kloppen.



Der Thekenbereich blitzt nur so vor Sauberkeit und Akkuratesse.


Es gab wohl keine große Gastronomie aber ein durchaus properes Angebot an kleinen Speisen wie Frikadellen oder Bockwurst mit Kartoffelsalat sowie belegte Brötchen und - zu jener Zeit noch selbstverständlich in gutbürgerlichen Lokalen – Soleier !!! 
Was das ist, muss man heute schon so einigen Zeitgenossen erst mal erklären.

Die großen Gläser auf den Theken der Kneipen und Gaststätten und deren Inhalt aus Soleiern in Lake sahen zwar – geschmeidig ausgedrückt – immer etwas arg trübselig aus, haben aber stets saulecker geschmeckt, wobei auch ich der Geschmacksrichtung Hautgout den Vorzug gebe.

Für die Kinder gab es Eis und eine kleine Auswahl an Süßigkeiten.

Die Gäste des ´Restaurants Jakobshöhe´ waren in der Regel die umliegenden Anwohnerinnen und Anwohner der Straße, die vielen Werktätigen, die es zu jener Zeit noch allerorten auf der Lütticher Straße gab, sowie mittelständische Geschäftsleute aus dem lokalem Nahbereich, von denen eine erstaunlich hohe Zahl bis zum heutigen Tag ihren Dienstleistungs- oder Geschäftsbetrieb generationsübergreifend weiterführt.

Bis heute spricht die halbe Straße in liebevollem Gedenken von dieser Gaststätte und der Mimi, darunter sogar Menschen, die dieses Café gar nicht kennen gelernt haben aber von ihren Eltern das eine oder andere Ameröllche hierzu überliefert bekommen haben.

Darunter auch immer wieder der schmunzelnde Hinweis darauf, daß die Mimi unbotmäßigen Gästen ihres Lokals auf ziemlich resolute Art und Weise zeigen konnte, wo der Barthel den Most holt.

Der Vater von Frau Tina Lüth (geb. Hissel) - von der ich all diesen schönen Geschichten erzählt bekommen habe - hatte etwa ab 1945/46 in einem hinteren Bereich dieses Haus eine Werkstatt unter dem Namen Franz Hissel, wo er den Beruf eines Stellmachers und Wagenbauers ausübte.



Er hatte für Herrn Hubert Brab vom Lebensmittelgeschäft Brab-Zimmermann (welches ich in einem anderen Artikel vorgestellt hatte) einen Handwagen hergestellt, der sich leider nicht mehr – wie kurzzeitig erzählt und von mir erhofft – auf dem Hof des Hauses der Lütticher Straße 6 befindet.

Auf der folgenden Aufnahme vom Juni 1970 ist zu erkennen, daß es leider keine Außen-Gastronomie mehr gibt.
Nur noch ganz wenige alt!-eingesessene Anwohner können sich überhaupt daran erinnern.

Auch beschäftigte Mimi kein Personal mehr. Der Schankbetrieb wurde nur noch im Innenbereich ausgeübt.




Anstelle des früheren Schilds mit der Aufschrift ´Restaurant Jakobshöhe | Inh. M. Hissel´ am Balkon, befindet sich nunmehr ein gläserner und vermutlich beleuchtbarer Schriftzug, auf dem es schlicht heißt ´Jakobshöhe´.

Das Gebäude im Hintergrund oberhalb des Daches der Gaststätte ist mit großer Wahrscheinlichkeit die Spiegelfabrik, Facetten-Schleiferei und Glasbiegerei der Aachener Spiegel-Manufactur E. Hellenthal & Cie. OHG hinter dem Jüdischen Friedhof, auf einem Grundstück, auf dem sich heute das neue Areal des alten Jüdischen Friedhofs mit den Gräbern der jüngeren Zeit befindet.

Wann die Mimi ihr Lokal für immer geschlossen hat, konnte ich bislang nicht genau heraus bekommen.

Am 28. Mai 1978 starb sie im Alter von 82 Jahren.



Zu ihrer Beisetzung zwei Tage später auf dem Aachener Westfriedhof an der Vaalser Straße sind neben ihren Angehörigen, Freunden und Bekannten, mehrere hundert Menschen erschienen, die ihr die letzte Ehre erwiesen haben.

Noch heute, - nach mehr als dreieinhalb Jahrzehnten, - zaubert die Nennung ihres Namen - ´Mimi´ Hissel - bei vielen jener Menschen auf der Lütticher Straße, die sie kannten oder sogar nur vom Hören-Sagen kennen, ein Lächeln ins Gesicht ...

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editorische Notizen | Trivia und Varia

Nach dem Tod von Maria ´Mimi´ Hissel im Mai 1978 zog ein Jahr später die Frau Tina Lüth in das Haus. Die Innenräume der Gaststätte im Erdgeschoss wurden von ihr als Wohnzimmer genutzt. Sie wohnte dort bis etwa 1992. Dann wurde das Haus verkauft.

Bis vor wenigen Jahren (ungefähr bis 2007) gab es dort noch den Betrieb GrabmaleAbendrot | Naturstein Aachen eines Herrn Emmerich.

Heute befinden sich in der früheren Gaststätte ´Jakobshöhe´ Gästezimmer und Appartements der Hotel-Pension Domicil und der äußere Schein ist eher als ein wenig trostlos zu betrachten, angesichts der Geschichte dieses Hauses und seiner vielen Geschichten ...



... wohingegen das Innere des Gebäudes einen Aufenthalt mit hohem Wohlfühl-Charakter garantiert.



Ich treffe immer mehr Menschen, die noch selbst erlebt und persönlich dafür gesorgt haben, daß die Gläser dort selten leer blieben. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, daß ich noch an Photos gelange, die diese bis heute unvergessene Schankwirtschaft unter "Volldampf" zeigen.
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Es ist erstaunlich... :-)

Bisher verliefen alle Interviews mit den Anwohnern und Geschäftsleuten der Straße nach einer anfänglichen Verwunderung über mein Anliegen, in einer Atmosphäre außergewöhnlich hoher Harmonie und Sachlichkeit.

Fällt allerdings - mitunter unvermeidlicherweise - während der Gespräche der Name einer weit über die Grenzen Aachens hinaus berüchtigten städtischen Planungs-Dezernentin, beginnen die Kruzifixe an den Wänden zu klappern, die Glühbirnen in den Fassungen zu flackern und die Luft mufft ein wenig schwefelschwanger nach dem Vorzimmer Abaddons ...

Ich habe mir für diese Situation mittlerweile einen sogenannten Nacken-Schlag-Witz ausgedacht, um unverzüglich und lachenderweise zum behandelten Kernthema zurück zu kommen.

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Zu dieser Gaststätte und weiteren Örtlichkeiten und Menschen dieser Straße gibt es noch vieles zu berichten...

1 Kommentar:

  1. Hallo Tano

    das hast Du aber toll geschrieben!!! Du verleihst den Bildern Leben...dazu stelle ich mir noch so alte Musik vor...und schwupp-diwupp, ist man in einer anderen Zeit !

    Dankeschööön dafür, das Du Dich mit viel Mühe auf den Weg machst, etwas zu finden und wertzuschätzen, was nur das Herz und die Liebe vermag: Die Liebe zu den Menschen und ihre Geschichten.

    Bis bald...
    Mariellchen

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